Spannungsvolle Begegnung

Manchmal, an einem freien Nachmittag, fuhr Vater in die Stadt St. Louis. Mutter wollte nicht mitfahren. Sie sagte, es sei ihr zu gefährlich, auf den belebten Strassen vorwärts zu kommen. Auch wenn wir von der Schule nach Hause kommen wäre dann niemand da. Ab und zu besuchte Vater die Lokale, wo nur die schwarzen Landsleute verkehren. Einige weisse haben ihn davor gewarnt, diese Lokale ja nicht zu besuchen. Er komme sicher nicht lebendig wieder heraus. Vater sagte, das sei dummes Geschwätz, man müsse sich nur anständig benehmen und dann passiert nichts.

Als er das Lokal betrat, war es voll von diesen Männern. Zuerst schauten alle Vater misstrauisch an, dann ging Vater an die Bar. Zuerst grüsste er freundlich und fragte den Barkeeper, der ja ebenfalls schwarz war, was sie alle trinken möchten. Alle schauten verwundert drein, weil er etwas spendieren wollte. Sie wünschten sich ein Glas Bier, und Vater trank auch eines. Er bezahlte und wünschte allen einen guten Tag. Alle die Männer standen auf von ihren Sitzen und bedankten sich ausgiebig und sagten: Mr. come again (Kommen Sie wieder).

Foto 1: Von links nach rechts: Kläry, Mutter, Adolf und ich

Vater kaufte für die ganze Familie Kleider und Schuhe. Er hatte einen guten Geschmack. Wie schon erwähnt ging Mutter nicht gern in die Stadt. Die Verkäuferinnen von St. Louis kannten Vater schon die Jahre zuvor, und diese haben ihn auch gut beraten.

Wir Kinder freuten uns immer wieder, wenn der Gutsherrn uns zu einer Kutschenfahrt in seinen herrlichen Park einlud. Anschliessend fuhren wir zu ihm nach Hause. Durch einen farbigen Kellner liess er uns auf Silberplatten Melonen und Nusskuchen servieren. Zum Schluss mussten wir ihm einen Kuss geben und er entliess uns bis zum nächsten Mal.

Hin und wieder lud der Gutsherr Gesellschaften ein, um die Farm besichtigen zu können. Darunter waren auch Indianer in ihren schönen Trachten und dem wunderschönen Federschmuck auf ihren Häuptern, darunter das blau­schwarze Haar in Zöpfen geflochten. Auch kam einmal eine Gruppe Liliputaner. Vater führte all diese Gäste durch die Gebäude und erklärte ihnen, was sie zu wissen wünschten.

Einmal an einem Morgen in der Frühe erwachte ich vom Lärm der auf der Laube verursacht wurde. Meine zwei Geschwister hörten nichts. Von unserem Kinderzimmer aus führte eine Türe hinaus auf diese Laube, aber man benutzte sie nicht, denn ein Schrank stand davor. Von der Küche aus konnte man auf diese Laube kommen. Der obere Teil der Türe bestand aus Glas, und durch dieses Glas schaute jemand herein. Ich rief der Mutter und inzwischen erwachten meine Geschwister auch, Mutter kam sofort. Sie sagte laut: Macht dass ihr fort kommt. Ich weiss wer ihr seid. Ich melde es Vater wenn er heim kommt. Wir drei bewunderten Mutter, dass sie so forsch auftreten konnte. Uns schlug das Herz bis zum Hals hinauf.

Mutter sagte, es seien die zwei Jungen vom Ehepaar Kraus. Sie wussten, dass Vater schon seit zwei Stunden an der Arbeit war. Es war morgens um 6 Uhr morgens und diese wollten uns erschrecken.

Als Vater zum Frühstück nach Hause kam, berichtete ihm Mutter den Vorfall. Bald darauf nahm Vater diese zwei in die Zange und sagte diesen, dass wenn er nochmals von solchen dummen Streichen höre, werden sie ihn von einer anderen Seite kennenlernen. Von da an hatten wir Ruhe.

An einem Neujahrsmorgen ging die Kunde wie ein Lauffeuer durch die Gegend, dass ein Enkelsohn von den Herrschaften entführt worden.sei. Der zuständige farbige Chauffeur wollte diesen Enkel zum Tanz am Silvesterabend in die Stadt fahren. Plötzlich hörten sie Schüsse. Das Auto blieb mit einem Ruck stehen, weil die Reifen getroffen wurden. Die Türe ging auf, zwei oder drei Banditen rissen den Chauffeur heraus auf die Strasse und diese stiegen selber ins Auto. Obwohl die Reifen defekt waren, fuhren sie weiter. Dem Jungen wurden die Augen verbunden und dann wurde er gefesselt. In der Zwischenzeit konnte sich der Chauffeur vom Schock etwas erholen und telefonierte so schnell es ihm möglich war auf die Farm.

Nachdem der Chauffeur abgeholt wurde, versuchte der Gutsherr Kontakt mit den Entführern herzustellen, was ihm auch gelang. Er setzte eine hohe Summe als Lösegeld aus.

Diese bestimmten den Ort, wo das Geld deponiert werden sollte. Der Gutsherr wollte es selber hinbringen. Er nahm die Polizei mit. Diese versteckte sich in unmittelbarer Nähe. Der Gutsherr lief zu seinem Auto zurück. Bald darauf hörte er Motorengeräusche, aber er verhielt sich still und verschwand im Gebüsch. Plötzlich rief der Junge: Grandpapa, ich bin's. Das Wiedersehn kann man kaum beschreiben. Glücklicherweise wurde er unversehrt zurückgebracht. Die Polizei brachte beide nach Hause und wollte dann, wenn der Junge sich erholt hatte, ihn über den Hergang befragen. Später erzählte der Junge, dass man ihn auf einen Stuhl mit Augenbinde festband, und somit wisse er nicht, wo er sich befand. Aber eines könne er sagen. Er glaube, es wäre immer um die Mittagszeit gewesen, denn die Augenbinde liess doch einen hellen Schimmer durch. Von dem regelmässigen Flugzeuglärm glaubte er zu wissen, dass es Tag sein musste. Sie flogen täglich zu einer bestimmten Zeit über das Hausdach. Er erzählte auch, dass er nie Hunger hatte. Er bekam Spiegeleier mit Speck oder Schinken gebraten. Dazu etwas zum Trinken.

Später hat die Polizei dieses Versteck der Banditen gefunden. Es war ein abgelegenes altes Haus in einem anderen Staat. Voll von Diebesgut und Waffenmaterial.

An Weihnachten wurden wir Kinder immer reich beschenkt. Die Hausdame von der Gutsherrin wurde ein paar Wochen vor dem Fest in alle Familien ausgesandt. Sie erkundigte sich bei den Müttern, was sich die Kinder zum Fest wünschten. Der Santa Claus kam höchst persönlich um uns zu beschenken. Die Glocken auf seinem roten Kleid hörte man schon von weitem. Unser Bruder flüchtete sich unter ein Bett. Nach langem Zureden liess er sich doch blicken. Durch das gütige Zureden vom Weihnachtsmann verflog die Angst allmählich auch bei uns. Meine Schwester und ich waren nicht viel besser. Wir versteckten uns hinter den Eltern.

Später, als wir vier bei Vater waren, besuchte Vater mit Mutter ab und zu die Schweizerhalle. Vater spielte zu Hause noch auf seiner Klarinette, aber in der Schweizerhalle nicht mehr. Er wurde auch älter und brauchte den Schlaf, da er um 4 Uhr morgens aufstehen musste.

Hin und wieder bekamen wir Besuch von einer Frau Klaus aus der Stadt. Sie hatte zwei Töchter, und ihrem Ehemann war es nicht möglich an Werktagen Besuche zu machen. Nun, die eine Tochter zeigte ihre Vorliebe uns zu schminken. Sie nahm uns bei der Hand und führte uns hinters Haus wo es eine Schaukel hatte, auf der drei bis vier Personen Platz hatten. Eine von uns beiden setzte sie zur linken und die andere auf die rechte Seite und probierte dann ihre Künste bei uns aus. Dummerweise kam Vater vom Milchhaus herauf um etwas zu holen und sah unsere bemalten Gesichter. Er wurde wütend und sagte: wascht das Zeug sofort ab, ich will das nicht sehen. Dann sagte Berta, so hiess diese Tochter: aber Adolf weshalb so streng? Er sagte nochmals: sofort wäscht ihr das Geschmier weg. Wir gehorchten mit Widerwillen und Berta war nicht einmal beleidigt.

Foto 2: In Amerika ca 1930: von links nach rechts. Robert Seemater, ich, meine Schwester Kläry und Karl Seematter mit meinem Bruder auf dem Arm

Eine Begebenheit, die sich so im täglichen Leben ereignet. Ein Mitarbeiter von Vater wollte einmal woandershin gehen und die Welt anschauen. So musste Vater für Ersatz schauen. Mit der Strassenbahn fuhr er Richtung Stadt. In der Bahn kam er ins Gespräch mit einem Mitfahrer, der Arbeit suchte, und schon waren sich diese beiden einig, dass der Mann am anderen Morgen anfangen konnte, und zwar um 4 Uhr. Der Stellen­suchende war nicht auf dem Platz. Als Vater nachsah, schlief dieser noch tief und fest und beim Erwachen sagte dieser, er fange gar nicht erst an. Diese Arbeit sei sowieso viel zu streng und verschwand wieder. Dasselbe wiederholte sich dreimal.

Der Verwalter vom Gutsherr, er war übrigens sein Cousin, sagte zu Vater, er wolle mal sehn ob er jemanden für diese Arbeit finde. Am Abend kam dieser todmüde vom herumfahren und laufen nach Hause. Was er mitbrachte war ein Coiffeur aus der Stadt. Vater sagte diesem, er brauche gar nicht erst anzufangen, da diese Arbeit hier sowieso nichts für ihn wäre. Der Coiffeur wollte nicht zurück in die Stadt. So blieb er während der Nacht auf der Farm. Am anderen Morgen kam der Verwalter angerannt und sagte, er hätte soeben ein Telefon-Anruf erhalten, dass auf einer bestimmten Farm sie jemanden wie ihn gebrauchen könnten. Dieser lief den ganzen Tag herum und fand die Farm nicht. Abends kehrte er todmüde und voller Wut zu Vater zurück und sagte, der Verwalter habe ihn angelogen. Er habe nur den Mut nicht gehabt ihm zu sagen, dass die Arbeit hier doch nichts für ihn sei. Während dem Gespräch stand auf einmal der Verwalter im Stall. Der Coiffeur ergriff eine Mistgabel und ging auf den Vorgesetzten los. Dieser sprang vor Schreck zum Fenster hinaus. Es war nicht hoch. Er fand die Türe nicht. Der Coiffeur sprang hintendrein und jagte den andern im ganzen Gebäude herum.

Vater erwischte den Coiffeur beim Kragen und sagte diesem, dass es jetzt genug sei. Es wäre wünschenswert, wenn er die Farm verliesse.

Nach ein paar Fehlschlägen hat es doch noch geklappt, und Vater bekam eine tüchtige Mithilfe.

An einem kalten nebligen Novembermorgen, als Vater seine Produkte ins Herrschaftshaus brachte, spazierte der Gutsherr um seinen schönen Brunnen herum, eine Art Fontäne, aus vielen Rohren plätscherte das Wasser heraus. Vater wünschte ihm einen guten Morgen. Er wurde erwiedert mit: Guten Morgen, Schweizer, es ist schlecht. Vater sagte darauf: Ja das Wetter ist nicht gerade gut. Ich meine nicht das Wetter, sagte darauf der Gutsherr. Vater wusste nur zu gut was den Gutsherrn plagte die Wirtschaftskrise. Vater wollte damals nicht in seine Privatphäre eindringen. Später aber hat es Vater bereut, dass er dem Gutsherrn nicht Mut und Zuversicht angeboten hatte. Denn ein paar Monate später beging der Gutsherr Selbstmord. Die Farm wurde aufgelöst und unsere Eltern entschieden sich, in die Schweiz zurückzukehren.

Foto 3: Vater mit meiner Schwester und mir ( v.r.n.l.)

In vielen Staaten hatte der Gutsherr Fabriken, die das Budweiser Bier herstellten. Das war die Einnahmequelle des Besitzers. In der Zeit um 1930 kam es niemandem in den Sinn Alkoholfreies Bier herzustellen, denn im Jahre 1934 wurde das Alkoholverbot proklamiert.