Erstes Kapitel

Ein letztes Mal versorgte Vater das Vieh seiner Eltern, denn am nächsten Morgen wollte er zusammen mit einem ebenfalls jungen Mann aus unserem Dorfe aufbrechen um die grosse Reise nach Übersee anzutreten. Es war in den ersten Märztagen des Jahres 1910. Seine Eltern versuchten mit allen Mitteln Vater dazubehalten. Sie rieten ihm, probeweise im Unterland auf einem Heimetli zu arbeiten, um zu sehen, ob es ihm im Flachland besser gefallen würde als hier in den Bergen. Später könnte er eventuell das Heimetli käuflich erwerben. Verwandte von uns wanderten ebenfalls ab ins Unterland und fanden dort ihr Zuhause. Es ging ihnen gut. Hier in unserem Bergtal war es nicht möglich gewesen, all die grossen Familien zu ernähren. Damals bestand fast jede Familie aus zwischen acht und zwölf Personen.Es wurde viel angepflanzt. Der Keller wurde halb gefüllt mit Kartoffeln, Kohl und weissen Rüben. Letztere wurden in grosse Fässer eingemacht. Karotten wurden in Sand gelegt. Zum Frühstück gab es eine grosse Platte voll Rösti. Alle assen aus dem gleichen Topf. Hie und da, um etwas Abwechslung ins Menü zu bringen, assen sie am Morgen Mais. Brot war ein Luxusartikel. Nur sonntags erhielt jede Person ein Stück. Drei Pfund Brot kosteten damals 53 Rappen. Man kann es sich ausdenken wie weit so ein Laib reichte um zwölf Mäuler zu stopfen. Am Mittag gab es immer Kartoffeln mit Gemüse und wenig Fleisch von den jeweils geschlachteten Tieren. Anstelle eines Schweines gab es manchmal auch ein Schaf oder Ziege. Das Fleisch musste ausreichen um ein Menü zu ergänzen. Abends kamen geschwellte Kartoffeln mit Ziger auf den Tisch, manchmal auch Rösti oder eine dicke Kartoffel- oder Gemüsesuppe.

Der Alpkäse wurde meistens verkauft um Rechnungen bezahlen zu können. Wenn die Kinder oder die Eltern etwas an Kleidern oder Schuhwerk benötigten, musste eine Kuh verkauft werden. Der Erlös betrug zwischen Fr. 550.- und 700.-

Vielerorts wurde billiger Magerkäse gekauft und gegessen. Wenn unten in Interlaken Pferdefleisch ausgeschrieben war, kaufte man hie und da 1 kg davon. Es gab Kinder, die heimlich der Mutter geschwellte Kartoffeln mit Schweineschmalz entwendeten und diese Leckerbissen in der Schulpause verzehrten. Mit Schweineschmalz wurde gekocht und gebraten. Auf Weihnachten und Neujahr hin ersparten die Hausfrauen ein paar Franken, um ein Pfund guten Kaffee zu kaufen.

Auch wurde in dieser Zeit Milch in ein grosses Gefäss geschüttet (Gebsi genannt) und über Nacht stehen gelassen, um am nächsten Tag Rahm abzunehmen. Manchmal gab es in Interlaken Birnen zu kaufen. Diese wurden dann gedörrt und gekocht, manchmal auch nur verhackt und mit Zucker und dem geschlagenem Rahm vermischt. War das ein Leckerbissen! Von den Paten und Patinnen erhielten die Kinder einen Lebkuchen dazu je ein 20 - 50 Rappenstück. Ein paar Wochen vor dem Fest schnitzte mancher Vater für seine Buben Kühe. Diese wurden aus Rundholz angefertigt.

Die ganz alten Häuser besassen eine offene Küche. Der Rauch schwebte zwischen den Holzschindeln zum Dach hinaus. Eine grosse Stube war da wo sich das meiste Leben abspielte-Schlafen, Essen, und Handarbeiten, denn unsere Grossmütter webten die Bettanzüge noch selbst. Hie und da gab es noch Spinnräder die ebenfalls benutzt wurden. Neben der Stube war noch ein kleines Stübchen vorhanden welches für die Kinder benutzt wurde. Am Haus war eine kleine Scheune angebaut für ein oder zwei Schweine oder Ziegen. Zu Vaters Zeiten zählte man an die 100 Ziegen. Ein Ziegenhirt von auswärts wurde eingestellt. Zuhinterst im Dorfe am Saxetenbach befanden sich 13 Ziegenställe. Frühmorgens mussten die Frauen hier zu diesen Ställen laufen um die Ziegen zu melken. Der Hirt musste mit den Ziegen hinauf in die Berge, abends brachte er sie wieder zurück. Die Ehemänner, Väter mussten am morgen von Hand mit der Sense das Heu mähen, während die Hausfrauen mit den Kindern und Haustieren voll beschäftigt waren.

Solange ich zurückdenke ging es unserem Vater und seinen Eltern und Geschwistern noch gut. Grossvater liess ein Haus bauen für die neunköpfige Familie. Vaters Ziel auszuwandern stand fest. Nichts und niemand hätte ihn aufhalten können. Sein Kamerad dagegen wurde etwas unsicher je näher der Abschied heranrückte. Im letzten Moment entschloss er sich doch, mitzureisen.

Die zwei erhielten von den Dorfbewohnern allerlei Essbares zum Mitnehmen, unter anderem auch Rauchwaren und Branntwein. Diese Kostbarkeiten wurden alle sorgfältig in einen Koffer gepackt. Da in jenen Märztagen noch viel Schnee lag, mussten sie ihr Gepäck auf einen Hornschlitten laden. Der eine zog vorne am Schlitten, der andere musste hinten stossen. Auf einmal gab es einen Schlag und der Koffer mit den Esswaren rutschte über Bord und über den Felsen hinaus auf nimmer wiedersehn. Sie sagten sich: das fängt ja gut an. Schade für die guten Sachen. Tapfer wurde der Marsch fortgesetzt.

Vater hatte vier Brüder: der ältere Hans, der jüngere Arnold und zwei Schwestern. Er war der Älteste. Diese zwei Brüder besuchten das Lehrerseminar in Hofwil. Später unterrichtete Hans an userer Dorfschule alle neun Klassen-vierzig Jahre lang. Der andere Bruder, Arnold, wurde Sekundarlehrer und übte seinen Beruf im Unterland aus. Ein Bruder, Josef, war krank schon von Geburt an. Dazu kam die Kinderlähmung. Grossmutter musste mit diesem Kinde einmal wöchentlich zur Therapie nach Interlaken. Sie trug ihn in einem Huttli1 dorthin und zurück. Das ging drei Jahre lang. Später konnte er laufen, aber eine Behinderung blieb zurück. Der jüngste Bruder Albert übernahm die Landwirtschaft seiner Eltern. Magdalena, die eine Schwester, heiratete auswärts, die andere starb einige Tage nach der Geburt.

In Interlaken gesellten sich noch zwei junge Männer aus Grindelwald zu ihnen. Sie waren also zu viert, um miteinander den Ozean zu überqueren.

Foto 1: Die Grant’s Farm in St. Louis im Bundesstaat Missouri, USA. Hier arbeiteten Adolf und Peter Seematter für den Gutsherrn August Anheuser Busch Senior.

In Basel hatten sie einen ziemlich langen Aufenthalt. Die vier beschlossen inzwischen, bis ihr Zug nach Hamburg abfuhr, den zoologischen Garten zu besuchen. Anschliessend assen Sie zu Mittag. Das Fleisch war zäh und deshalb waren sie davon überzeugt, dass es von dem alten Gorilla stammten könnte, den sie zuvor gesehn hatten.

In Basel kaufte Vater eine Flasche Branntwein. Der, falls der eine oder andere Seekrank werden sollte, würde die Innereien zu desinfizieren helfen.

In Hamburg, als sie ihr Schiff mit dem Namen Columbus bestiegen, gesellten sich auch vier Damen zu ihnen. Beim Essen waren sie fortan acht. Sie hatten es lustig zusammen. Bald einmal, von Tag zu Tag, wurde die Tischrunde immer kleiner - wegen der Seekrankheit. Daraufhin klopfte Vater bei den Damen schüchtern an ihre Türe und verabreichte seinen Branntwein. Am nächsten Tag kamen alle kuriert wieder an den Tisch.

Damals waren auch die sanitären Einrichtungen etwas mangelhaft. Auf einem erhöhten Podium standen die Toiletten in Reih und Glied ohne Abschrankungen. Ein Leiterchen wurde benötigt um hinauf zu kommen. Wehe, wenn der Ozean starken Wellengang hatte, denn dann wars um die Benützer dieser Anlage geschehen. Sie purzelten der Reihe nach herunter in den Korridor. Die einen schimpften, die anderen lachten.

Die Reise dauerte für Vater beinahe 3 Wochen. In Amerika gab es schon etliche Vorläufer aus unserem Bergtal die in den Weiten der USA ihre zweite Heimat fanden. Einige liessen sich in Oregon, Wisconsin, Pietmont und in St. Louis nieder. Letzterer wurde der Ort, wo Vater und sein Freund sich niederliessen. Einer dieser Vorläufer besorgte für Vater und seinen Freund eine Stelle auf einem Gutshof bei einem wohlhabenden Besitzer. Diese zwei mussten morgens um vier Uhr aufstehen um vierzig Kühe zu melken; von Hand, denn damals gab es noch keine Melkmaschinen. Anschliessend wurde die Milch verarbeitet. Dieses Amt fiel Vater zu. Jeden Morgen machte er fünfzig Pfund Butter. Ein Teil der Milch wurde für Rahm zentrifugiert, ein anderer Teil auf die Seite gestellt um Hüttenkäse und Quark zu machen. Der Rest wurde abgefüllt in viertel, halb- und ein Liter Flaschen.

Jeden Morgen musste Vater von diesen Produkten im Herrschaftshaus abliefern. Die Köchin übergab Vater immer eine Liste, was sie am andern Tag benötigte.

Von all diesen Sachen wurden Verwandte und Bekannte vom Gutsherrn beliefert. Ein farbiger Chauffeur fuhr wöchentlich nach Cooperstown um diesen Leuten von den Erzeugnissen, welche auf der Farm gemacht wurden, abzugeben.

Während des ersten Aufenthaltsjahrs in Amerika besuchte Vater einen Englischkurs. Dieser brachte ihm viel Freude. Etwa nach einem halben Jahr gehörte er zu den Fortgeschrittenen, aber er machte weiter. Es kamen auch immer wieder Neue dazu, Anfänger, die die Sprache auch erlernen wollten. Einige junge Frauen sassen in den Bankreihen vor Vater. Wenn der Lehrer diese fragte, was z.B.Decke auf Englisch heisst, flüsterte ihnen der Vater z.B. das englische Wort von Boden zu. Diese sagten es nach, was beim Lehrer stets strinrunzeln verursachte. Er sagte dann auch: Ich habe doch nach oben gezeigt und nicht auf den Boden! Das zweitemal bekamen sie dann vom Vater die richtige Antwort. Eine Zeitlang ging dieses Spiel mit den falschen Antworten weiter. Plötzlich wurde der Lehrer dann aber ungeduldig und so bekannte sich Vater als Übeltäter.

Zwischen Weihnachten und Neu Jahr wurde Vater zu einer Rosa Zingrich, ebenfalls von hier nach Afton, ein Vorort von der Stadt St.Louis, eingeladen. Sie backe Küechli und möchte ihm für Silvester und Neujahr davon mitgeben, damit er über die Festtage auch etwas aus der alten Heimat essen könne. Er freute sich darauf, schaute Rosa beim backen zu und sie munterte ihn auf zu essen soviel er möchte. In der Küche stand ein grosser geflochtener Korb ausgelegt mit weissen Tüchern und viele von diesen Küechli waren schon drin. Dann kam von der Schule die jüngste Tochter nach Hause und lief rückwärts und fiel in diesen Korb. Vater reute es sehr und die Mutter war trostlos. Die ganze Arbeit war dahin. Sie hatte noch Teig und buk noch welche um sie Vater mitgeben zu können. Er protestierte zwar, da er schon so viele gegessen habe. Rosa sagte, sie mache wieder Teig und fange von neuem an zu backen. Mit dem Kind wollte sie nicht schimpfen, denn es weinte und ihm war diese Unachtsamkeit nirgends recht. Rosa und ihre zwei Geschwister Marie und Christian wanderten vor Vater aus. Erstere heiratete nach ein paar Jahren. Zuvor verdiente sie ihr Geld als Hausmädchen. Zwei Töchter wurden ihnen geboren. Eine hiess Rosa, so wie ihre Mutter, die andere hiess Sissi. Der Ehemann starb, als die Kinder noch nicht Schulpflichtig waren. Sie heiratete wieder einen stillen lieben Menschen. Sie bekamen noch einen Sohn und der hiess Richard. Marie reiste nach Ohio und diente auch als Hausmädchen, heiratete ebenfalls und starb in jungen Jahren, denn das Heimweh verkraftete sie nicht. Christian der Bruder arbeitete auf der Farm überall dort wo Not am Mann war. Später, als wir nach Amerika kamen, besuchten wir oft Rosa und ihre Familie. In all den Jahren in denen Vater drüben war, reisten Einheimische nach Amerika aus und fanden überall Arbeit. Vater hatte auch die Gelegenheit, viele Staaten kennen zulernen um Vieh für seinen Gutsherrn einzukaufen.Einmal wurden auch Rinder und Kühe von Texas verladen, die auf die Farm gebracht werden sollten. An ihrem Bestimmungsort angekommen, als man sie ausladen wollte, sprang eine Kuh von der Rampe hinunter und nichts wie los Richtung Stadt - Vater hintendrein! Mit der Zeit merkten die Autofahrer, dass diese Kuh eingefangen werden sollte und stellten ihre Fahrzeuge quer zur Strasse. Zum Glück kam ein Viehwagen daher. Mit viel Müh und Not brachten viele freiwillige Helfer die Kuh in den Wagen und fuhren zurück zur Farm.

Beim Ausladen der Kuh standen sieben Männer bereit um sie zu halten. Das Tier war noch nicht gebändigt und zog alle sieben Männer eine steile Kirchentreppe hoch. Glücklicherweise war die Türe geschlossen. Unvorstellbar, wo sie vielleicht alle gelandet wären. Leider aber rutschte die Kuh auf dem Steinboden aus und brach sich den Rücken und musste dann geschlachtet werden.

Mit der Zeit erwarb Vater das Staatsbürgerrecht. Er, und später auch wir, wurden voll aufgenommen. Wir hatten nie das Gefühl gehabt, als Ausländer zu gelten. Dieses Wort wurde überhaupt nie benutzt.

Vater wurde Pate bei einer amerikanischen Familie, dessen Töchterchen Linda hiess. Diese Linda, sie war etwa vier oder fünf Jahre alt, spielte mit Vorliebe mit Schlangen. Ihrer Mutter ist aufgefallen, dass das Mädchen im Laufe des Vormittags immer verschwand. Auf alle Fragen der Mutter gab die Kleine keine Auskunft. Sie spiele im Wald einfach so. Da beschloss die Mutter der Kleinen einfach mal auf Distanz zu folgen. Der Mutter stockte fast der Atem als sie sah wie Linda auf dem Schoss eine Schlange hielt und dieser zuredete. Sie wollte, dass die Schlange bei einem Ärmel hineingeht und beim Halsausschnitt des Pullovers wieder herauskommt. So ging das eine gewisse Zeit. Auf einmal setzte sie das Reptil auf den Boden und sagte zu ihm: Warte bis ich wiederkomme, denn jetzt muss ich zum Essen gehen. Zuhause haben die Eltern mit Linda ein ernstes Wort gesprochen, aber das half alles nichts. Sie sagte, sie habe der Schlange versprochen wiederzukommen. Die Schlange war tatsächlich noch auf demselben Platz und kletterte Linda erneut auf den Schoss und das Spiel begann von Neuem. Beim einen Ärmel rein und beim hals wieder raus.

Für das Vieh das sich oft in den weiten Ebenen, die zur Farm gehörten, draussen aufhielt, für jenes Vieh das sich in der freien Natur befand, gab es am Waldrand eine kleine Hütte. In dieser Hütte gab es auch einen kleinen Schlafraum. Dieses Gebäude war gedacht für diejenigen, die auf das Vieh aufpassten, als Unterschlupf damit sie den Weg nicht bis zur Farm zurücklegen mussten - vor allem wenn das Wetter schlecht war. Obwohl Vater auf der Farm eine warme Wohnung hatte, bevorzugte er diese Hütte. Sogar im Winter.

Als der Gutsherr dahinter kam, wo Vater zu “hausen” pflegte, machte dieser ihm heftige Vorwürfe. Er wollte unbedingt, dass er sich einen Hund hält und einen Revolver. Vater sagte, er brauche weder das eine noch das andere. Trotzdem kam der Herr eines Tages mit einem Hund daher.

Einmal kam der Gutsherr ins Milchhaus zum Vater und machte ihm heftige Vorwürfe wegen seinem unvorsichtigen Verhalten in der Waldhütte. Er wollte ihm nämlich einen Besuch abstatten und klopfte an der Türe an. Als niemand antwortete versuchte er die Türe zu öffnen. Nach weiteren Rufen, die unbeantwortet blieben, trat er ein. Zu seinem Erstaunen schlief der Vater tief und fest und hatte von seinem Besucher nichts gehört.

Der Vater änderte sein Verhalten und seine Meinung nicht. Später liess er auch den Hund wieder laufen, was der Gutsherr einfach nicht verstand. Er bevorzugt diese Hütte, obschon es im Winter so kalt war, dass die Kleider in der Nacht jeweils gefroren und er sie am Morgen wieder anziehen musste. Am selben Abend, als der Vater den Hund wieder losliess, gesellte sich dieser wieder zu ihm als ihm Gefahr drohte.

Nicht weit von unserem Haus entfernt floss ein kleines Bächlein. Sobald es wärmer wurde tummelten sich dort Schlangen in allen Farben und Grössen. Jeweils beim Viehhüten las Vater die Zeitung die aus der Heimat kam. Dazu setzte er sich unter einen Baum mit viel Laub und dieses Laub bewegte sich von Zeit zu Zeit. Beim Nachschauen lag da eine Schlange zusammengerollt. Er hat das Bellen des Hundes nicht als Warnung verstanden und so kam er gut ohne Hund zurecht.

Bei einer unserer Nachbarinnen kroch ein solches Reptil bis auf den Estrich. Sie meinte sie hätte einen geflochtenen Korb in der Ecke stehen. Die Häuser hatten vielerorts kein Fundament. Sie wurden schlüsselfertig hingestellt. Wenn es dann am Boden eine unebene Stelle gab, war das ein Unterschlupf für das kriechende Getier.

Foto 2: Der Wohnsitz der Familie Bush, Grants Farm, St. Louis Missouri.

Im Staat Virginia in Richmond, nahe der Atlantischer Küste, lebte ein Ehepaar Zingrich, das ebenfalls aus unserem Dorf stammte. Als junge Leute zogen sie aus und überquerten den Ozean. Erst in Amerika haben sie geheiratet und ihre zwei Söhne wurden dort geboren.

Als Vater noch alleine in Amerika war forschte er nach diesen Leuten aus der Heimat, denn diese zwei wanderten Jahre vor unserem Vater aus. Bekannte Leute von der Farm und einige die in der Stadt St.Louis wohnten, konnten Vater die Adresse vermitteln und er schrieb nach Richmond. Fast postwendend kam die Antwort. Diese Familie freute sich, dass auch Adolf den grossen Schritt übers Meer wagte.

Vater sparte ein paar freie Nachmittage zusammen, um diese Familie besuchen zu können. Als es dann soweit war, bekam er vom Gutsherrn ein zweirädriges Wägelchen und ein Pferd das ihn dorthin brachte. Für die Bahnfahrt wollte er kein Geld ausgeben. An einem schönen warmen Frühlingsmorgen zog er los mit seinem Gefährt. Nachmittags um 4 Uhr kam er verschwitzt und müde in Richmond an. Vor Freude haben alle geweint. Die Susanne Zingrich hatte so viel gekocht, dass sie alle die Teller auf den Schoss nehmen mussten. Weil, wie gesagt, auf dem Tisch kein Platz mehr war. Dann sagte sie zu einem Jungen: Joe (Josef) geh hinunter zum River (Fluss) und hole einen Rabbit (Hase), den will ich für den Abend noch braten. Vater sagte, sie solle es damit gut sein lassen, denn da sei noch so eine Unmenge vorhanden. Sieben Sorten Fleisch, viel Gemüse und Salat. Dazu eine Vielzahl Gebackenes stand auf dem Tisch.

Nach dem Essen sagte Susanne: Komm Adolf, jetzt gehn wir hinaus auf die Laube. Sie liess alles stehen in der Küche und sagte die Jungs räumen dann auf. Nur der Ehemann gesellte sich auch zu ihnen. Susanne sagte: So jetzt Adolf, Du musst mir von allen Dorfbewohnern aus Saxeten erzählen. Vom Kleinsten bis zum Grössten. Ab und zu schimmerte eine Träne in ihren Augen. Finanziell ging es dieser Familie gut. In jungen Jahren erworben sie eine kleine Farm, die sie ihr eigen nennen konnten. Sie hatten Vieh, Hühner, Schweine und eben Hasen gab es im Überfluss. Niemand kümmerte sich darum, ob diese erlegt wurden oder nicht.

Während des Gesprächs fragte Vater, ob sie nie den Gedanken erwogen haben, wieder in die Schweiz zurückzukehren. Sie sagten doch, aber was sollten sie dort. In unserem Dorf sei doch keine Arbeit für sie und anstatt anderswo hinzuziehen - könnten sie ebenso gut in Richmond bleiben. Nach zwei Tagen Aufenthalt dort hat Vater die Reise wieder mit Pferd und Wagen angetreten.

Die Familie wollte, dass Vater sie öfters besuchen komme. Vater meinte aber, er dürfe auch wieder nicht solange von seiner Arbeit fern bleiben, und für die Familie Zingrich wäre es ebenso umständlich gewesen sich von ihrer Farm zu lösen. Weit und breit fanden sie niemanden, der bereit gewesen wäre einzuspringen um all diese Arbeit zu erledigen.

Ein andermal wurde Vater nach Wisconsin eingeladen. Damals nahm er die Bahn. Es wäre doch zu anstrengend geworden und zu weit entfernt von der Grossfarm, um sich wieder mit Ross und Wagen auf die Reise zu begehen. Dort wohnte ein Ehepaar mit einer Tochter. Diese Leute stammten aus dem Unterland und waren Bekannte von unseren Grosseltern. Vater versprach damals seinen Eltern diese mal aufzusuchen um Grüsse zu überbringen. Nun weiss ich nicht mehr, was diese Bekannten gearbeitet haben. Sicher hat es Vater erwähnt, aber ich habe es vergessen.

Als Vater noch alleine in den Staaten weilte, nahmen ein paar Freunde mit ihren Frauen Vater mit zum Baden. Sie fuhren zum Michigen-See. Die Frauen blieben am Ufer, denn sie wollten nicht baden. Vater jedoch stieg in die Fluten, denn er wollte schwimmen lernen. Auf einmal riefen die Frauen vom Ufer aus: Adolf versinkt zieht ihn aus dem Wasser. Als Vater es uns erzählte, meinte er, dass die Hitze und dann der Sprung ins Wasser nicht gut war. Dank diesen aufmerksamen Frauen ist er damals nicht ertrunken.

Weil Vaters Arbeitsbereich an der Wärme von Stall und Milchhaus stattfand, ertrug er die ersten Jahre die Kälte nicht gut. Als er seinem Mitarbeiter half, ausserhalb des Gebäudes Milchkannen aufzuladen um sie ins Milchhaus zu transportieren, erwachte er in einer warmen Stube auf einem Sofa, und jemand spielte Klavier um ihn wieder ins Dasein zurück zu rufen. Zum grossen Glück blieb es bei diesen zwei Unfällen.

Nach diesem Unfall im Winter studierte Vater an einem System herum, wie man die Milch vom Stall ins Milchhaus befördern könnte um nicht mehr diese schweren Kannen herumschleppen zu müssen. Dann kam ihm die Idee wie es werden sollte. Er arbeitete einen Plan aus und legte ihn dann dem Gutsbesitzer vor. Dieser war sofort einverstanden alles in die Tat umzusetzen. Von der Stadt liess er Fachleute kommen und schärfte diesen ein, alles genau so auszuführen wie es der Schweizer haben will.

Ich will versuchen zu beschreiben wie es ausgesehen hat als alles fertig war. Nun, im Stall wurde ein rechteckiger Chromstahlbehälter, der etwa zehn Liter Milch enthält, mit einem Sieb versehen. Dieser Behälter wurde an der Wand gegenüber dem Milchhaus montiert. Auf der anderen Seite wurde derselbe Behälter montiert, und vom gegengesetzten Behälter führte ein Chromstahlrohr hinunter in ein etwa hundert liter fassendes Gefäss, das auch aus Chromstahl war. Dieser Kessel war mit einem verschliessbaren Deckel versehen, damit die Milch sauber in diesen fliessen konnte. Anschliessend brühte Vater sämtliche Gefässe aus. Als die erste Milch durchfloss, wollte der Gutsherr mit ein paar von seinen Freunden dabei sein. Als dann alles zu funktionieren begann waren alle erfreut darüber, dass es jetzt auf bequemere Art zuging.

Die viele Milch die vorhanden war versuchte Vater so gut wie möglich auszunützen. Ihm kam die Idee, er könnte mal Leimburgerkäse machen. Wie er gemacht wurde habe ich vergessen, aber Vater fertigte solche Kleinkäse an. Diese Käselaibe hatten einen Durchmesser von ca 15cm. Sie mussten auch ca 3 Monate an einem feuchten und warmen Ort gelagert werden. Weil in Vaters Arbeitsbereich kein Platz vorhanden war um diesen zu lagern, fragte er die Köchinnen vom Herrschaftshaus ob sie eventuell im Keller Platz hätten. Diese bejahten. Vater wollte damit den Besitzer überraschen und dazu beitragen, dass damit mal was anderes auf den Tisch kommt.

Als die Gärungszeit bald vorüber war, kam eines Tages der Gutsherr mit seiner Frau in die Küche und sagte, er möchte ihnen nicht in ihre Arbeit hineinreden, aber ganz im Vertrauen, ob es tote Mäuse im Haus gebe. Es rieche entsetzlich im ganzen Hause. Die Köchinnen mussten dann das Geheimnis lüften und führten die zwei Herrschaften in den Keller hinunter. Als der Gutsherr die etwa 50 kleinen Käse sah, klatschte er in die Hände und rief der sei doch fantastisch. Er gehe gleich zum Schweizer um zu fragen ob man davon schon essen könne, er freue sich darauf.

Als er im Milchhaus ankam, lachte er schon beim Eintreten und Vater wusste nicht was das zu bedeuten hatte. Nun, das Rätsel war bald gelöst. Der Besitzer sagte: Wissen sie was, Schweizer, noch heute lasse ich Zimmerleute von der Stadt kommen. Diese sollen an einem bestimmten Ort am Waldrand eine neue Hütte aufstellen um diesen Käse zu lagern.

Gesagt getan. Vater konnte nicht genug von diesem Käse herstellen. Sämtliche Verwandte und Bekannte wollten diesen Leimburger haben. Wohlgemerkt, nur im Sommer konnte man diesen Käse produzieren weil wir in einem feucht-heissen Klima lebten. Vater machte deshalb viel auf Vorrat, damit im Winter auch davon da war.

Manchmal wurde Vater gefragt, ob er Abends jeweils in der Schweizerhalle mit seiner Klarinette Musik machen komme. Er kaufte das Instrument in Amerika, denn er hatte Freude an der Musik. Ob er überhaupt je Unterricht gehabt hat, oder er es einfach so spontan spielen konnte, weiss ich nicht mehr. Er machte Tanzmusik. Sie waren zu viert. Der Reichmuth kam von der Innerschweiz aus dem Kanton Uri. Seine Frau starb noch in der Schweiz. Dieser Mann reiste mit seinen zwei Kindern, einem Sohn und einer Tochter nach Amerika. Ihr Zuhause war etwa 3 km von unserer Farm entfernt. Er arbeitete auf eigene Faust. Nun, dieser Mann spielte Handharmonika. Da waren noch zwei Frauen die Gitarre spielten. Die eine hiess Elisabeth Wenger. Ihr Gatte Josef stammte aus Höfen bei Thun. Die beiden hatten auch einen Sohn, der Josef hiess. Die zweite Gitarristin hiess Hilda. Sie stammte aus Luzern. Dieses Quartett spielte oft zusammen Musik.

Jedes Jahr im Sommer reisten die Herrschaften nach Cooperstown, weil es dort eine kühle Gegend war. Dieses befand sich in Neu York Bay. Es gibt ein paar Orte in Amerika Namens Cooperstown. Zum Beispiel in Pennsylvania und in Wisconsin. Letzteres war der Ort, wo Vater seine Produkte lieferte.

Nun, in diesen Sommermonaten hat der Besitzer Ziegen angeschafft, bevor er in die Ferien reiste. Als diese weg waren suchte Vater altes Holz zusammen und baute für die Ziegen hohe und niedere Bänke und Tische damit sie darauf herumspringen konnten. Mit der Zeit warfen die Ziegen auch Zicklein. Es war ein Spass diesen Tieren zuzusehen, wie sie von einem Tisch zum anderen sprangen. Die Leute, die vorbei laufen wollten, blieben stehen und schauten der Akrobatik der Tiere zu.

Erst im September kam die Herrschaft aus ihrem Urlaub zurück. Das erste was der Herr immer nach seiner Rückkehr machte: Er liess zwei Pferde vor eine seiner schönen Kutschen spannen und machte mit seiner Familie eine Rundfahrt um das ganze Gut herum.

Als sie bei den Ziegen ankamen, waren sie alle entzückt über diese Vorführung. Der Besitzer stieg von der Kutsche herab und sagte: Ich muss den Schweizer sofort sprechen. Beim Vater angekommen sagte dann dieser, er und seine Familie haben eine grosse Freude an dem Schauspiel da draussen. Dann sagte er: Wissen sie was, Schweizer, sie haben altes Holz genommen; Wenn sie nichts dagegen haben lasse ich das Ganze durch neues Holz ersetzen, ganz genau gleich.

Peter, Vaters Mitreisender aus unserem Dorfe, wollte Amerika einmal von einer anderen Seite kennenlernen. Er beabsichtigte nach dem Wilden Westen zu gehen. Vater riet ihm von diesem Plan ab. Nicht dass er ihn auf der Farm festhalten wollte, aber er sagte, er könne sicher mit den Cow-Boys nicht mithalten. Viele springen von den fahrenden Bahnen, von einem Zug auf den anderen und fahren schwarz, weil die Reise dorthin zu teuer sei. Auch braucht es ein jahrelanges, geübtes Reiten auf den wilden Pferden. Das sei nicht einfach. Es gebe in diesem Milieu auch viele Schlägereien und im Grunde genommen sei man auf sich selbst angewiesen.

Peter ignorierte diese Ratschläge und zog los. Etwa nach einem halben Jahr stand Peter wieder im Milchhaus. Er sah schlecht aus und sagte zu Vater: Adolf du hast recht gehabt. Ich habe es nicht geschafft. Vater hat ihm geraten doch in die Schweiz zurückzukehren, denn offenbar fand er sich schlecht zurecht in Amerika. Peter wollte weder das noch wieder auf der Farm arbeiten und ging weg.

Nach einiger Zeit sagte jemand zu Vater, dass Peter in der Stadt im Krankenhaus liege. Vater beauftragte sofort seine Mitarbeiter, mit der Arbeit im Stall und im Milchhaus fortzufahren. Er nehme ein Taxi und fahre in die Stadt. Vater erschrak als er Peter sah. Er war sehr sehr krank. Vater fragte ihn, ob er irgend einen Wunsch habe. Ja, sagte Peter, er möchte Früchte essen. Vater verliess das Spital, kaufte Früchte ein und beauftragte den Ladeninhaber, er möchte doch so gut sein diese Früchte hinüber ins Krankenhaus zu bringen. Sein Freund sei sehr krank. Als Vater wieder auf der Farm eintraf, kam ein Anruf vom Krankenhaus, Peter sei verstorben. Vater beauftragte daraufhin das Begräbnisinstitut alles Nötige zu erledigen und ihm die Rechnung zuzusenden. Vater tat es sehr leid, seinen Freund verloren zu haben.

Das Milchhaus bestand aus weissen Kacheln. Jeden Morgen spritzte der Vater den ganzen Raum ab, damit es wieder frisch aussah. Eine Frau, die nicht weit von unserem Milchhaus wohnte, schaute jeden Morgen zum Fenster herein um Vater bei der Arbeit zuzusehn. Es ging ihm langsam auf die Nerven und deshalb lenkte er den Schlauch Richtung Fenster. Die Frau schrie in den höchsten Tönen und verschwand pudelnass. Von da an war Ruhe eingekehrt.

Nach zwölf Jahren Aufenthalt in den USA fand Vater, es sei an der Zeit in die Heimat zurückzukehren. Mit ihm kamen noch drei andere Männer, ebenfalls von hier.

Bereits von Amerika aus hatte Vater die Gelegenheit, unser Haus hier zu kaufen und etwas Land dazu. Auf diese Weise war es für ihn leichter, hier wieder Fuss zu fassen, um weiterzufahren wo er einmal aufgehört hat.

1923 heiratete Vater unsere Mutter, welche auch vom Dorf war. Ihr Vater starb schon als Mutter sieben Jahre alt war. Unsere Grossmutter musste die fünf Kinder selber erziehen und ernähren. Es war für sie nicht leicht. Zu dieser Zeit gab es noch keine Witwenrente. Damals war es üblich, dass wenn ein Grossvater starb, unterstützen die Kinder die Grossmütter weil der Ernährer es nicht mehr tun konnte

Foto 3: Stehend von links nach rechts: Adolf Inäbnit, Gottfried Seematter, Christian Zingrich, Karl Zingrich. Sitzend von links nach rechts: Christian Zingrich und Adolf Seematter (unser Vater)

Mutter hatte drei Brüder: Ulrich der älteste, Hans der zweite und Robert der jüngste. Die Schwester hiess Margrit, wurde aber immer “Gritli” genannt. Die zwei älteren Brüder von Mutter, also Ueli und Hans, mussten das Vieh besorgen und auf dem Feld tüchtig mithelfen. Leider erkrankte Hans im Militärdienst und ist im Wallis als junger Soldat gestorben.

Im Laufe der Jahre kamen wir drei Kinder zur Welt. In dieser Zeit hatte der Vater immer noch regen Briefkontakt zum Gutsherrn aus Amerika. Dieser bat den Vater oft in seinen Briefen, doch wieder nach Amerika zu kommen, da er ihn sehr vermisse. Die Mutter merkte sofort, dass der Vater gerne wieder ausreisen möchte. Sie unterstützte ihn bei dem Gedanken und zog es in Erwägung, später nachzureisen.

So kam es, dass Vater 1926 ein zweites Mal nach Amerika reiste, diesmal in Begleitung des jüngeren Bruders von Mutter, dem Robert.

Auf der Farm angekommen, organisierte Vater bald einmal unsere Reise.

Während Vater unsere Reise plante, sandte der Gutsherr seinen Lands­mann, auch ein Arbeiter der Farm, nach Deutschland. Unser Gutsherr stammte aus diesem Lande. Dieser Mann namens Kraus sollte seine Verwandten in der alten Heimat besuchen, anschliessend in die Schweiz reisen bis nach Saxeten, um Mutter dazu zu bewegen, mit uns Kindern ebenfalls auszureisen. Der Herr Kraus nahm seinen jüngeren Sohn Charly mit. Sie fanden beide Unterkunft bei Tante Gritli und Onkel Hans. Wir hatten zuwenig Platz damals.

Herr Kraus musste Mutter gar nicht lange versuchen umzustimmen, denn ihr Entschluss stand fest, dass wir Vater nachreisen. Der Gutsherr hat Herrn Kraus mit genügend Geld ausgestattet, sodass er die Franken und Rappen nicht zählen musste. Von all dieser Organisation wusste Vater nichts. Der Gutsherr hämmerte Kraus ein, dem Schweizer ja nichts zu verraten. Im Laufe der Zeit fragte Vater einmal jemand von der Farm, wo eigentlich Kraus sei, man habe ihn schon lange nicht mehr gesehen, ob er krank sei. Auch seine Frau und der ältere Sohn machen sich rar. Was wohl passiert sei. Der Befragte sagte, Kraus habe Urlaub genommen um seine Verwandten zu besuchen. Darauf erwiderte Vater: das sei doch merkwürdig, solange er jetzt auf dieser Farm arbeite, war man weit davon entfernt, jemanden in die Ferien zu schicken. Am nächsten Tag bestätigte dieser

Mitarbeiter Vaters Vermutung, dass dieser Kraus einen Abstecher in die Schweiz und somit in sein Heimatdorf plante.


  1. Rückentrage aus Holz↩︎